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Dienstag, 14. Mai 2024

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Peter Fritz: „Dann, wenn sich in Russland was ändert“

Im Gespräch mit Dr. Peter Fritz, Außenpolitikexperte, in Latschach am Faaker See beheimatet. Er ist beim ORF in Wien als Kommentator und Moderator aktiv.

Die Ukraine erwartet sich rasche EU-Beitrittsverhandlungen – welcher Zeithorizont zeichnet sich ab?
FRITZ: Realistisch gesehen mindestens ein Jahrzehnt, wenn nicht sogar zwei Jahrzehnte, weil die Probleme einfach riesengroß sind. Das fängt mit der Sicherheitslage an, dem Krieg, und auch mit der Frage, um welches Territorium es sich in Zukunft handelt, und führt bis zur Landwirtschaft, ein Riesenkapitel. Wenn man anfängt, das Beihilfesystem auf die ukrainische Landwirtschaft auszudehnen, wäre die EU mit einem Schlag bankrott. Vor allem Frankreich würde das wegen der Agrarsubventionen nie zulassen.
Vom Kreml war zu hören, die NATO befindet sich bereits im Krieg gegen Russland. Wie schätzen Sie diese Äußerungen ein?
Die NATO wird sich hüten, irgendwas zu unternehmen, das als direkte Angriffshandlungen ausgelegt werden könnte. Waffenlieferungen sind klar, das ist völkerrechtlich gedeckt. Ansonsten wird sich das Bündnis extrem zurückhalten – außer es kommt ein direkter russischer Angriff.

„ … ZUMINDEST AUFHALTEN KÖNNEN“
Westliche Länder, allen voran die USA und Deutschland, haben sich durchgerungen, Panzer an die Ukraine zu liefern. Wie groß wird der Effekt bei der ukrainischen Armee sein?

Man wird die Russen zumindest aufhalten und verhindern können, dass es weitere größere russische Vorstöße gibt. Ob aber mit den Panzern die große Rückeroberung gestartet werden kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Glauben Sie, dass noch in diesem Jahr mit einem Ende dieses
Kriegs zu rechnen ist?

Nur dann, wenn sich in Russland etwas ändert, wenn Putin entweder erkrankt, entmachtet wird oder aus welchen Gründen auch immer aufgibt. Das hängt ganz von Putin ab.

„DER EFFEKT LÄSST MIT DER ZEIT NACH“
Es wurde bereits eine Reihe von Sanktionspaketen verabschiedet. Können Putin und Co. damit eingebremst werden?

Es hat sich gezeigt, dass die Wirkung von Sanktionen unmittelbar nach deren Verhängung am größten ist. Aber es hat so an sich, dass ihr Effekt mit der Zeit nachlässt, weil auf russischer Seite in der Regel immer wieder neue Wege gefunden werden, die Sanktionen zu umgehen.

„UKRAINE STEHT UNTER BEOBACHTUNG“
Es heißt, in der Ukraine geht es – international als eines der korruptesten Länder eingestuft – für den Westen auch um die Verteidigung demokratiepolitischer Werte?

Es besteht jetzt die große Zuversicht, dass man eben diese Werte sozusagen in die Ukraine exportieren kann, und auf EU-Seite wird gleichzeitig gefordert, gegen die Korruption noch entschiedener vorzugehen. Nachdem die Ukraine weiß, dass sie unter Beobachtung und damit im Scheinwerferlicht steht, wurden bereits einige Akte gegen die Korruption gesetzt.

DIE KÜNFTIGEN MACHTBLÖCKE
Welche Überlegungen – auch in geopolitischer Hinsicht – verfolgen aus Ihrer Sicht die Vereinigten Staaten?

So wie es aussieht, wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass sich die Welt in zwei Machtblöcke teilt. Der eine Block wird sich möglicherweise aus China und Russland ergeben, der andere wahrscheinlich zwischen den USA sowie West-, Mittel- und Osteuropa bis zur Ukraine hin, wobei jedoch die Amerikaner ihren Einflussbereich über Taiwan bis nah an China heran halten werden. Wie und wohin sich Indien entwickelt, ist noch nicht klar. Was die militärische und zivile Hilfe für die Ukraine betrifft, haben die EU und die europäischen Staaten zusammen wesentlich mehr geliefert als die USA.

DIE EU KANN JETZT SCHULDEN MACHEN
Sie waren bis 2021 ORF-Büroleiter und -Korrespondent in Brüssel. Was hat sich von Ihrer Wahrnehmung her in den vergangenen zwei Jahren in der Union verändert?
Die Union hat sich in dieser Zeit neue Aufgabengebiete, neue Rollen gesucht und war darin eigentlich relativ erfolgreich. Am Beginn der Corona-Pandemie war die EU jedoch vollkommen abgemeldet. Jeder Staat hat gemacht, was er für sich für richtig hielt. Erst nach und nach hat sich die EU in einer gewissen Rolle gefunden, insbesondere über den Wiederaufbaufonds, wobei eine gemeinsame Kasse geschaffen wurde. Das heißt, die Union übernimmt nicht nur wie bisher gemeinschaftlich finanzierte Aufgaben, sondern kann jetzt auch Kredite aufnehmen. Das ist eine der größten Errungenschaften der letzten Jahre.

„VIELLEICHT NORDIRLAND“
Schottland soll noch heuer über die Unabhängigkeit abstimmen. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass das Vereinigte Königreich wieder in die EU zurückkehrt?
Ich denke, wenn jemand aus dem Vereinigten Königreich in die EU zurückkehrt, dann vielleicht Nordirland. Wenn sich zwischen Irland und Nordirland ein Vereinigungswille entwickelt und eine Abstimmung zustande kommt, kann die Vereinigung Irlands auch gegen den Willen Londons durchgesetzt werden. Dann ist Nordirland nicht mehr im Königreich, sondern in der EU. Mit Schottland ist die Situation eine andere. Wenn die Schotten für einen Austritt abstimmen wollen, muss dafür vorher die Zustimmung aus London kommen. Aber das wird aus heutiger Sicht nicht der Fall sein.

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FRITZ: Realistisch gesehen mindestens ein Jahrzehnt, wenn nicht sogar zwei Jahrzehnte, weil die Probleme einfach riesengroß sind. Das fängt mit der Sicherheitslage an, dem Krieg, und auch mit der Frage, um welches Territorium es sich in Zukunft handelt, und führt bis zur Landwirtschaft, ein Riesenkapitel. Wenn man anfängt, das Beihilfesystem auf die ukrainische Landwirtschaft auszudehnen, wäre die EU mit einem Schlag bankrott. Vor allem Frankreich würde das wegen der Agrarsubventionen nie zulassen.
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Die NATO wird sich hüten, irgendwas zu unternehmen, das als direkte Angriffshandlungen ausgelegt werden könnte. Waffenlieferungen sind klar, das ist völkerrechtlich gedeckt. Ansonsten wird sich das Bündnis extrem zurückhalten – außer es kommt ein direkter russischer Angriff.

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Westliche Länder, allen voran die USA und Deutschland, haben sich durchgerungen, Panzer an die Ukraine zu liefern. Wie groß wird der Effekt bei der ukrainischen Armee sein?

Man wird die Russen zumindest aufhalten und verhindern können, dass es weitere größere russische Vorstöße gibt. Ob aber mit den Panzern die große Rückeroberung gestartet werden kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.
Glauben Sie, dass noch in diesem Jahr mit einem Ende dieses
Kriegs zu rechnen ist?

Nur dann, wenn sich in Russland etwas ändert, wenn Putin entweder erkrankt, entmachtet wird oder aus welchen Gründen auch immer aufgibt. Das hängt ganz von Putin ab.

„DER EFFEKT LÄSST MIT DER ZEIT NACH“
Es wurde bereits eine Reihe von Sanktionspaketen verabschiedet. Können Putin und Co. damit eingebremst werden?

Es hat sich gezeigt, dass die Wirkung von Sanktionen unmittelbar nach deren Verhängung am größten ist. Aber es hat so an sich, dass ihr Effekt mit der Zeit nachlässt, weil auf russischer Seite in der Regel immer wieder neue Wege gefunden werden, die Sanktionen zu umgehen.

„UKRAINE STEHT UNTER BEOBACHTUNG“
Es heißt, in der Ukraine geht es – international als eines der korruptesten Länder eingestuft – für den Westen auch um die Verteidigung demokratiepolitischer Werte?

Es besteht jetzt die große Zuversicht, dass man eben diese Werte sozusagen in die Ukraine exportieren kann, und auf EU-Seite wird gleichzeitig gefordert, gegen die Korruption noch entschiedener vorzugehen. Nachdem die Ukraine weiß, dass sie unter Beobachtung und damit im Scheinwerferlicht steht, wurden bereits einige Akte gegen die Korruption gesetzt.

DIE KÜNFTIGEN MACHTBLÖCKE
Welche Überlegungen – auch in geopolitischer Hinsicht – verfolgen aus Ihrer Sicht die Vereinigten Staaten?

So wie es aussieht, wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass sich die Welt in zwei Machtblöcke teilt. Der eine Block wird sich möglicherweise aus China und Russland ergeben, der andere wahrscheinlich zwischen den USA sowie West-, Mittel- und Osteuropa bis zur Ukraine hin, wobei jedoch die Amerikaner ihren Einflussbereich über Taiwan bis nah an China heran halten werden. Wie und wohin sich Indien entwickelt, ist noch nicht klar. Was die militärische und zivile Hilfe für die Ukraine betrifft, haben die EU und die europäischen Staaten zusammen wesentlich mehr geliefert als die USA.

DIE EU KANN JETZT SCHULDEN MACHEN
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Ich denke, wenn jemand aus dem Vereinigten Königreich in die EU zurückkehrt, dann vielleicht Nordirland. Wenn sich zwischen Irland und Nordirland ein Vereinigungswille entwickelt und eine Abstimmung zustande kommt, kann die Vereinigung Irlands auch gegen den Willen Londons durchgesetzt werden. Dann ist Nordirland nicht mehr im Königreich, sondern in der EU. Mit Schottland ist die Situation eine andere. Wenn die Schotten für einen Austritt abstimmen wollen, muss dafür vorher die Zustimmung aus London kommen. Aber das wird aus heutiger Sicht nicht der Fall sein.

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