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Donnerstag, 25. April 2024

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Positive Effekte: Fluchen und schimpfen Sie auch?

Schimpfen befreit, hilft bei Angst und kann tröstend sein. In Putins Krieg wird die Sprache zur Mittäterin. Schimpfforscherin Oksana Havryliv, aus Lviv/Lemberg, Ukraine, gebürtig, ist Germanistin und Sprachwissenschaftlerin an der Uni Wien.

Die Wissenschaft soll sich darüber einig sein, dass Schimpfen und Fluchen auch gesund sein soll. Weshalb?
Havryliv: Wir nennen das eine kathartische Funktion, also ein Abreagieren von negativen Emotionen. Aus einer dementsprechenden Umfrage geht hervor, dass 73 Prozent dem Abreagieren zukommt, für 16 Prozent war es ein scherzhafter Gebrauch und für elf Prozent eine Beleidigung. Das Schimpfen und Fluchen hilft auch der Angstbewältigung, hat aber auch eine tröstende Wirkung, wenn ich beispielsweise mit einer Freundin rede, die tief enttäuscht ist, weil ihr Freund, sagen wir, fremdgegangen ist. Ich beschimpfe diesen Freund, diesen Idioten, weil er nicht weiß, was er an ihr verloren hat. Das ist eigentlich keine Beleidigung, sondern Trost.

„SCHLEICH DI, DU …!“
Am 2. November 2020, dem Tag des Terroranschlags in Wien, wurde die Beschimpfung „Schleich di, du Oaschloch!“ zum Spruch des Jahres. Wie konnte es dazu kommen?
Diese aggressive Aufforderung, begleitet von einer Beschimpfung, entstammt einem Video vom Terroranschlag während der Schießende aus einer Wohnung gefilmt und beschimpft wurde. Es handelte sich um ein spontanes Abreagieren einer ganzen Gefühlspalette – der Wut, Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Darauf wurde diese Äußerung zum Hashtag #schleichdiduoasch und entwickelte weitere Funktionen, wie beispielsweise die realitätsabwertende, die zur Befreiung von Angst führt, und die verbindende, vereinende Funktion: Wir halten zusammen, wir lassen uns nicht kleinkriegen. Das ist interessant, dass sich eine Aussage mit negativem Inhalt positiv umkehrt und sogar zum Spruch des Jahres wird.

„… WOLLEN IMAGE GERECHT WERDEN“
In Österreich wird vor allem in Wien viel gesudert, geschimpft, Luft abgelassen?
Es heißt oft, nur die Pariser sind noch unfreundlicher als die Wiener. An Stereotype kann ich nicht glauben, aber eigentlich steckt in jedem Stereotyp ein kleiner Teil Wahrheit. Ich denke eher, die Wienerinnen und Wiener wollen ihrem Image gerecht werden. Dass in Wien tatsächlich mehr geschimpft wird, als in anderen Bundesländern, kann ich nicht nachvollziehen.
Wie halten es im Allgemeinen die Österreicher?
In der Schimpfkultur werden grundsätzlich folgende Arten unterschieden, und zwar das Fäkal-Anale, das Sakrale und das sexuelle Schimpfen. Im Nahost-Bereich ist die Verwandtenbeleidigung vorherrschend, in Österreich wird vorwiegend das Fäkal-Anale praktiziert wie „Sch …“ und „… loch“. „Kruzifix“ oder „Himmelherrgott“ fällt auch sehr oft. Schimpfen ist zweifellos eine Art Regelverstoß.

„PUTLER“ UND DIE „RASCHISTEN“
Im Krieg wird auch zunehmend gedroht …
… und ebenso viele Verwünschungen ausgesprochen, auch von öffentlichen Personen wie etwa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Reaktion und Drohung gegen Bombardierung eines vorher vereinbarten Fluchtkorridors: „Blutrünstiger Abschaum! Ihr werdet für jedes verlorene ukrainische Leben Verantwortung tragen!“ Dies ist natürlich auch als anfängliche Hilflosigkeit und Ohnmacht ob der Unfassbarkeit des Geschehenen zu werten und kanalisiert sich auch in Verwünschungen wie „… ihr sollt bis zum Lebensende in Kellern schlafen, während ihr bombardiert werdet. Brennt in der Hölle zusammen mit eurem Putler!“ (Wortkreuzung aus Putin und Hitler). Oder als nächster Schritt der Übergang zu Drohungen: „Ihr, Raschisten (Russia, „Rascha“ ausgesprochen, und Faschisten), für jede Träne eines ukrainischen Kindes, für jede Träne einer ukrainischen Mutter gibt es Rache!“.

PUTINS KRIEG: DIE SPRACHE ALS WAFFE
Ingeborg Bachmann sagte einmal: „Hätten wir die Sprache, bräuchten wir Waffen nicht.“ Zunächst als Vorbereitung auf den Überfall wurde und wird ihre Heimat mit ungeahnter russischer Aggression überzogen. Ihr Standpunkt zu Putins verbaler Gewalt und Ukraine-Hass?
Wir sehen, dass gerade in diesem Krieg auch die Sprache als Waffe eingesetzt wird. Das geht schon auf Platon zurück: Sprache ist, was wir mit der Sprache tun. Wir können mit der Sprache sowohl Gewalt verhindern, Konfliktsituationen entschärfen oder wir können mit der Sprache als Mittäterin auch physische Gewalt und andere Gewaltformen vorbereiten. Verbale Gewalt muss nicht mit verbaler Aggression und aggressiven Sprechakten einhergehen, sondern das kann auch mit neutraler Sprache erfolgen, mit Lügen, falschen Gerüchten, wie es die Kreml-Propaganda praktiziert.

„Schimpfen zwischen Scherz und Schmerz“, Oksana Havryliv, Picus Verlag, Wien, 92 Seiten, presse@picus.at

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„SCHLEICH DI, DU …!“
Am 2. November 2020, dem Tag des Terroranschlags in Wien, wurde die Beschimpfung „Schleich di, du Oaschloch!“ zum Spruch des Jahres. Wie konnte es dazu kommen?
Diese aggressive Aufforderung, begleitet von einer Beschimpfung, entstammt einem Video vom Terroranschlag während der Schießende aus einer Wohnung gefilmt und beschimpft wurde. Es handelte sich um ein spontanes Abreagieren einer ganzen Gefühlspalette – der Wut, Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Darauf wurde diese Äußerung zum Hashtag #schleichdiduoasch und entwickelte weitere Funktionen, wie beispielsweise die realitätsabwertende, die zur Befreiung von Angst führt, und die verbindende, vereinende Funktion: Wir halten zusammen, wir lassen uns nicht kleinkriegen. Das ist interessant, dass sich eine Aussage mit negativem Inhalt positiv umkehrt und sogar zum Spruch des Jahres wird.

„… WOLLEN IMAGE GERECHT WERDEN“
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Es heißt oft, nur die Pariser sind noch unfreundlicher als die Wiener. An Stereotype kann ich nicht glauben, aber eigentlich steckt in jedem Stereotyp ein kleiner Teil Wahrheit. Ich denke eher, die Wienerinnen und Wiener wollen ihrem Image gerecht werden. Dass in Wien tatsächlich mehr geschimpft wird, als in anderen Bundesländern, kann ich nicht nachvollziehen.
Wie halten es im Allgemeinen die Österreicher?
In der Schimpfkultur werden grundsätzlich folgende Arten unterschieden, und zwar das Fäkal-Anale, das Sakrale und das sexuelle Schimpfen. Im Nahost-Bereich ist die Verwandtenbeleidigung vorherrschend, in Österreich wird vorwiegend das Fäkal-Anale praktiziert wie „Sch …“ und „… loch“. „Kruzifix“ oder „Himmelherrgott“ fällt auch sehr oft. Schimpfen ist zweifellos eine Art Regelverstoß.

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Im Krieg wird auch zunehmend gedroht …
… und ebenso viele Verwünschungen ausgesprochen, auch von öffentlichen Personen wie etwa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Reaktion und Drohung gegen Bombardierung eines vorher vereinbarten Fluchtkorridors: „Blutrünstiger Abschaum! Ihr werdet für jedes verlorene ukrainische Leben Verantwortung tragen!“ Dies ist natürlich auch als anfängliche Hilflosigkeit und Ohnmacht ob der Unfassbarkeit des Geschehenen zu werten und kanalisiert sich auch in Verwünschungen wie „… ihr sollt bis zum Lebensende in Kellern schlafen, während ihr bombardiert werdet. Brennt in der Hölle zusammen mit eurem Putler!“ (Wortkreuzung aus Putin und Hitler). Oder als nächster Schritt der Übergang zu Drohungen: „Ihr, Raschisten (Russia, „Rascha“ ausgesprochen, und Faschisten), für jede Träne eines ukrainischen Kindes, für jede Träne einer ukrainischen Mutter gibt es Rache!“.

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Wir sehen, dass gerade in diesem Krieg auch die Sprache als Waffe eingesetzt wird. Das geht schon auf Platon zurück: Sprache ist, was wir mit der Sprache tun. Wir können mit der Sprache sowohl Gewalt verhindern, Konfliktsituationen entschärfen oder wir können mit der Sprache als Mittäterin auch physische Gewalt und andere Gewaltformen vorbereiten. Verbale Gewalt muss nicht mit verbaler Aggression und aggressiven Sprechakten einhergehen, sondern das kann auch mit neutraler Sprache erfolgen, mit Lügen, falschen Gerüchten, wie es die Kreml-Propaganda praktiziert.

„Schimpfen zwischen Scherz und Schmerz“, Oksana Havryliv, Picus Verlag, Wien, 92 Seiten, presse@picus.at

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