5.2 C
Villach
Montag, 4. November 2024

Unabhängiges Stadt-Umland-Magazin

Der glückliche Sisyphos

Wenn ich schreibe, dann stehe ich vor einer Abfolge von Entscheidungen. Was weiter verfolgen, was verwerfen, was niederschreiben und was wieder streichen? Das geht meist längere Zeit hin und her, bis irgendwann nichts mehr gestrichen und nichts mehr hinzugefügt wird. Nicht, weil der Text dann perfekt ist, sondern weil man irgendwann einmal einen Punkt machen muss.

Beim Schreiben bin ich alleine, da habe ich nur mich selbst, mit dem ich über Entscheidungen diskutieren muss. Wenn ich aber fertig geschrieben habe, wartet zu Hause meine Lebensgefährtin auf mich und täglich stehen wir vor der Frage, was wir zu Abend essen. Sie ist Vegetarierin, ich nicht. Sie ist Italienerin, ich nicht. Ich mag kulinarische Experimente, sie nicht. So beginnen jedes Mal aufs Neue die selben zähen Verhandlungen um die kulinarische Abendgestaltung und irgendwann werden wir uns dann doch meistens einig – oder wir bestellen Pizza.

Weit komplizierter wird es da schon bei einem der Städtetrips, die ich mit einigen meiner Freunde einmal im Jahr unternehme. Beim Reisen zeigen Menschen nämlich ihr wahres Gesicht. Da sind wir dann zu acht und der eine will Fußball zuschauen, der andere ins Museum, der dritte shoppen gehen und die fünf restlichen eigentlich nur in einer Bar sitzen und Leute beobachten. Da kann es schon einmal zu ernsten Reibungen zwischen den einzelnen Parteien kommen.

Ja, einen Konsens zu finden ist anstrengend. Tragfähige Kompromisse auszuhandeln ist anstrengend. Diametral konträre Meinungen auszuhalten ist anstrengend. Und dennoch gehört das dazu zu unserer demokratischen Gesellschaft. Wie der Stein zum Sisyphos. Und den sollten wir uns als glücklichen Menschen vorstellen. Weil das sich Abmühen hat auch etwas Kathartisches an sich. Das haben wir zwischen bequemen, technologischen Spielereien, Info-Blasen und allgegenwärtiger Selbstdarstellung ein wenig aus den Augen verloren. Dem politischen Diskurs täte ein bisschen mehr Anstrengung allerdings ganz gut.

Simon Martinschitz MA
Agentur für Kommunikation & Text
www.martinschitz.at

Ähnliche Artikel

- Bezahlte Werbung -spot_img
- Bezahlte Werbung -spot_img
- Bezahlte Werbung -spot_img
- Bezahlte Werbung -spot_img

Beliebte Berichte

Der glückliche Sisyphos

Wenn ich schreibe, dann stehe ich vor einer Abfolge von Entscheidungen. Was weiter verfolgen, was verwerfen, was niederschreiben und was wieder streichen? Das geht meist längere Zeit hin und her, bis irgendwann nichts mehr gestrichen und nichts mehr hinzugefügt wird. Nicht, weil der Text dann perfekt ist, sondern weil man irgendwann einmal einen Punkt machen muss.

Beim Schreiben bin ich alleine, da habe ich nur mich selbst, mit dem ich über Entscheidungen diskutieren muss. Wenn ich aber fertig geschrieben habe, wartet zu Hause meine Lebensgefährtin auf mich und täglich stehen wir vor der Frage, was wir zu Abend essen. Sie ist Vegetarierin, ich nicht. Sie ist Italienerin, ich nicht. Ich mag kulinarische Experimente, sie nicht. So beginnen jedes Mal aufs Neue die selben zähen Verhandlungen um die kulinarische Abendgestaltung und irgendwann werden wir uns dann doch meistens einig – oder wir bestellen Pizza.

Weit komplizierter wird es da schon bei einem der Städtetrips, die ich mit einigen meiner Freunde einmal im Jahr unternehme. Beim Reisen zeigen Menschen nämlich ihr wahres Gesicht. Da sind wir dann zu acht und der eine will Fußball zuschauen, der andere ins Museum, der dritte shoppen gehen und die fünf restlichen eigentlich nur in einer Bar sitzen und Leute beobachten. Da kann es schon einmal zu ernsten Reibungen zwischen den einzelnen Parteien kommen.

Ja, einen Konsens zu finden ist anstrengend. Tragfähige Kompromisse auszuhandeln ist anstrengend. Diametral konträre Meinungen auszuhalten ist anstrengend. Und dennoch gehört das dazu zu unserer demokratischen Gesellschaft. Wie der Stein zum Sisyphos. Und den sollten wir uns als glücklichen Menschen vorstellen. Weil das sich Abmühen hat auch etwas Kathartisches an sich. Das haben wir zwischen bequemen, technologischen Spielereien, Info-Blasen und allgegenwärtiger Selbstdarstellung ein wenig aus den Augen verloren. Dem politischen Diskurs täte ein bisschen mehr Anstrengung allerdings ganz gut.

Simon Martinschitz MA
Agentur für Kommunikation & Text
www.martinschitz.at

Ähnliche Artikel